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„Erinnerungskultureller Klimawandel“ – Jens-Christian Wagner bei Carolin Emcke über die Arbeit von Gedenkstätten

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Die Zustimmung für die AfD nimmt weiter zu. Das zeigen die Ergebnisse der Landtagswahlen in Thüringen, Sachsen und Brandenburg. Obwohl der Verfassungsschutz zumindest Teile der Partei in allen drei Bundesländern als rechtsextrem einstuft, ist die AfD bei den Wahlen stärkste oder zweitstärkste Kraft geworden. Gleichzeitig häufen sich in Deutschland islamistisch, rechtsextremistisch oder antisemitisch motivierte Übergriffe. Deshalb spricht Carolin Emcke in dieser Folge von „In aller Ruhe“ mit dem Historiker Jens-Christian Wagner, dem Leiter der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora.

Wagner, geboren 1966, wuchs im Landkreis Göttingen auf, verbrachte als Kind aber auch einige Jahre in Chile. Schon während des Geschichtsstudiums und der Promotion beschäftigte sich der Historiker mit dem KZ-Mittelbau-Dora und übernahm anschließend von 2001 bis 2014 die Leitung der gleichnamigen Gedenkstätte. Nach einigen Jahren als Geschäftsführer der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten in Celle übernahm Wagner 2020 die Leitung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Die Stelle ist gekoppelt an eine Professur an der Universität Jena. Wagner forscht zur Geschichte des Nationalsozialismus, insbesondere zur Geschichte der Zwangsarbeit und der Konzentrationslager. Zu diesen Themen hat er bereits zahlreiche Ausstellungen kuratiert.

Kein Blick in die Vergangenheit ohne Bezug zur Gegenwart

Carolin Emcke beschäftigt im Gespräch mit Jens-Christian Wagner speziell die Frage, inwieweit die Menschen in Deutschland die Gräueltaten des Nationalsozialismus billigten. Für den Historiker ist die Sache klar: „Die Leute haben sehr genau mitbekommen, was passiert, und sie waren tatsächlich einverstanden damit.“ Er erklärt dies mit der medialen Darstellung der Konzentrationslager und deren Insassen. „Die Häftlinge wurden der Gesellschaft als Gefahr präsentiert, vor denen die Bevölkerung geschützt werden muss.“ Das habe Angst geschürt. Und sei Ursprung für viele Gewalttaten gewesen, auch durch gewöhnliche Bürgerinnen und Bürger.

Die Muster des damaligen Kriminalisierungsdiskurses erkennt der Historiker auch heute noch. Etwa in der medialen und politischen Darstellung von Migranten und Migrantinnen. Wagner sieht es als seine Aufgabe, dazu Stellung zu beziehen. „Gedenkstättenarbeit darf sich nicht ausschließlich darauf beschränken, den Blick auf die Vergangenheit zu lenken.“

Die AfD als Motor und Symptom einer gesellschaftlichen Entwicklung

Im Podcast spricht Wagner auch über eine Zunahme antidemokratischer Einstellungen und Gewalt in der Gesellschaft. Er berichtet von Hakenkreuzschmierereien und Drohbriefen. Seine Gedenkstätte müsse immer größere Anteile ihres Etats für Sicherheitsmaßnahmen ausgeben. Es komme immer häufiger vor, dass Besucherinnen und Besucher bewusst versuchen, Rundgänge zu stören.

Wagner führt das auf mehrere Gründe zurück. Zum einen, stellt er fest, haben junge Menschen heute keine Großeltern mehr, die den Nationalsozialismus selbst erlebt haben. Das führe dazu, dass sich geschichtsrevisionistische Legenden schneller verbreiten. Zum anderen zeigten sich da auch die Auswirkungen eines gesellschaftlichen und politischen Rechtsrucks. „Die AfD ist gewissermaßen sowohl Motor als auch Symptom einer Entwicklung, die ich als erinnerungskulturellen Klimawandel bezeichnen würde.“ Der Historiker ist überzeugt, dass Gedenkstätten, Medien und politische Institutionen noch aktiver gegen diese Entwicklung anarbeiten müssen. „Historisches Bewusstsein kommt ja nicht von selbst. Das muss ausgebildet werden.“

Kulturtipp von Jens-Christian Wagner

Statt ein Buch, eine Serie oder einen Film zu empfehlen, hat Jens-Christian Wagner eine Bitte an alle Zuhörerinnen und Zuhörer: „Besuchen Sie einfach eine Gedenkstätte.“ KZ-Außenlager habe es damals in so gut wie jeder deutschen Stadt gegeben. Und Wagner hat noch einen Tipp: „Forschen Sie vor Ort nach. Was hat es mit der Geschichte dieses Ortes auf sich?“

Moderation, Redaktion: Carolin Emcke

Redaktionelle Betreuung: Ann-Marlen Hoolt, Thisbe Westermann, Johannes Korsche

Produktion: Imanuel Pedersen

Bildcredit Cover: Peter Hansen, Sammlung Gedenkstätte Buchenwald/Bearbeitung SZ

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Wagner, geboren 1966, wuchs im Landkreis Göttingen auf, verbrachte als Kind aber auch einige Jahre in Chile. Schon während des Geschichtsstudiums und der Promotion beschäftigte sich der Historiker mit dem KZ-Mittelbau-Dora und übernahm anschließend von 2001 bis 2014 die Leitung der gleichnamigen Gedenkstätte. Nach einigen Jahren als Geschäftsführer der Stiftung niedersächsischer Gedenkstätten in Celle übernahm Wagner 2020 die Leitung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora. Die Stelle ist gekoppelt an eine Professur an der Universität Jena. Wagner forscht zur Geschichte des Nationalsozialismus, insbesondere zur Geschichte der Zwangsarbeit und der Konzentrationslager. Zu diesen Themen hat er bereits zahlreiche Ausstellungen kuratiert.

Kein Blick in die Vergangenheit ohne Bezug zur Gegenwart

Carolin Emcke beschäftigt im Gespräch mit Jens-Christian Wagner speziell die Frage, inwieweit die Menschen in Deutschland die Gräueltaten des Nationalsozialismus billigten. Für den Historiker ist die Sache klar: „Die Leute haben sehr genau mitbekommen, was passiert, und sie waren tatsächlich einverstanden damit.“ Er erklärt dies mit der medialen Darstellung der Konzentrationslager und deren Insassen. „Die Häftlinge wurden der Gesellschaft als Gefahr präsentiert, vor denen die Bevölkerung geschützt werden muss.“ Das habe Angst geschürt. Und sei Ursprung für viele Gewalttaten gewesen, auch durch gewöhnliche Bürgerinnen und Bürger.

Die Muster des damaligen Kriminalisierungsdiskurses erkennt der Historiker auch heute noch. Etwa in der medialen und politischen Darstellung von Migranten und Migrantinnen. Wagner sieht es als seine Aufgabe, dazu Stellung zu beziehen. „Gedenkstättenarbeit darf sich nicht ausschließlich darauf beschränken, den Blick auf die Vergangenheit zu lenken.“

Die AfD als Motor und Symptom einer gesellschaftlichen Entwicklung

Im Podcast spricht Wagner auch über eine Zunahme antidemokratischer Einstellungen und Gewalt in der Gesellschaft. Er berichtet von Hakenkreuzschmierereien und Drohbriefen. Seine Gedenkstätte müsse immer größere Anteile ihres Etats für Sicherheitsmaßnahmen ausgeben. Es komme immer häufiger vor, dass Besucherinnen und Besucher bewusst versuchen, Rundgänge zu stören.

Wagner führt das auf mehrere Gründe zurück. Zum einen, stellt er fest, haben junge Menschen heute keine Großeltern mehr, die den Nationalsozialismus selbst erlebt haben. Das führe dazu, dass sich geschichtsrevisionistische Legenden schneller verbreiten. Zum anderen zeigten sich da auch die Auswirkungen eines gesellschaftlichen und politischen Rechtsrucks. „Die AfD ist gewissermaßen sowohl Motor als auch Symptom einer Entwicklung, die ich als erinnerungskulturellen Klimawandel bezeichnen würde.“ Der Historiker ist überzeugt, dass Gedenkstätten, Medien und politische Institutionen noch aktiver gegen diese Entwicklung anarbeiten müssen. „Historisches Bewusstsein kommt ja nicht von selbst. Das muss ausgebildet werden.“

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Statt ein Buch, eine Serie oder einen Film zu empfehlen, hat Jens-Christian Wagner eine Bitte an alle Zuhörerinnen und Zuhörer: „Besuchen Sie einfach eine Gedenkstätte.“ KZ-Außenlager habe es damals in so gut wie jeder deutschen Stadt gegeben. Und Wagner hat noch einen Tipp: „Forschen Sie vor Ort nach. Was hat es mit der Geschichte dieses Ortes auf sich?“

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