ERF Plus - Bibel heute Jeremias zweite Klage
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Jeremia hatte die Botschaften Gottes ausgerichtet. Mit „Gott“ meine ich JHWH, den Offenbarungsgott Israels. Es waren schwere Botschaften. Jeremia hatte als „Mund Gottes“ deutlich gemacht, dass Gott Unrecht und Götzendienst nicht länger duldet und dass dieses Verhalten ohne Buße und Umkehr in ein schlimmes Gericht mündet.
Aber Jeremia wird im Volk nicht gehört, sondern verachtet und ausgegrenzt. Letztlich wird er verfolgt und zum Staatsfeind erklärt. Er ist angefochten und hadert mit Gott.
Der verlesene Abschnitt ist ein seelsorgerliches Zwiegespräch des Propheten mit seinem Gott, dessen Worte er gehorsam ausgerichtet hatte. Die Last des Prophetenamtes drückt Jeremia nieder, so dass er seiner Mutter vorhält, warum sie ihn überhaupt geboren hat. Damit verwirft er zugleich seine Berufung (Jer 1,4ff), bei der Gott sagt, dass er ihn schon im Mutterleib für diesen besonderen Gottes-Dienst vorbereitet und ausgesondert hat.
Der zunehmende Widerstand im Volk scheint Jeremia in die Resignation zu treiben: Ich fordere doch von niemandem etwas und ich schulde auch keinem etwas. Ich habe euch lediglich gesagt, was Gott mir aufgetragen hat – aber alle verfluchen mich.
In den Versen 11-14 gibt Gott eine erste Antwort, die nicht wirklich nach Trost und Zuspruch klingt. Zwar sagt Gott: Habe ich dich nicht zum Guten stark gemacht? Ich werde dafür sorgen, dass dein Feind dich anfleht, wenn er in Not und Bedrängnis gerät. – Aber danach bestätigt Gott nochmals den Untergang Judas mit Plünderung und Vertreibung, als Lohn für eure Sünden. Das Feuer meines Zornes lodert schon.
Ob das für den angefochtenen Propheten eine erbauliche Botschaft war, dass seine Feinde, die ihn jetzt verleumden, sich einst in der Not des Zornes Gottes zu ihm wenden werden, weil sie dann endlich merken, dass er Recht hatte?
Jeremia hilft das offenbar zunächst wenig. Und er legt in den Versen 15-18 nach: Herr, du weißt doch alles, auch dass ich deinetwegen leide. Schieb dein Gericht – aufgrund deiner unermesslichen Geduld – nicht so lange auf, dass sie mich vorher umbringen.
Jeremia muss hier die Spannung aushalten, dass Gott tatsächlich in Gnade, Barmherzigkeit, Langmut und Güte auf die Umkehr seiner selbstgerechten, aber verirrten Menschen wartet. Jeremia erlebt damit persönlich das Leiden Gottes an seinen Geschöpfen, die es ablehnen, nach seinen guten Ordnungen zu leben.
Es ist dasselbe Leiden, in das Gott selbst durch seinen Sohn Jesus Christus hineingegangen ist und das auch für ihn nicht abgekürzt wurde. Jesus musste den Leidenskelch des bitteren Todes am Kreuz bis zuletzt austrinken. Aber das war die Voraussetzung für unsere Erlösung und für die Auferstehung zu einem neuen Leben.
Jeremia bekennt zwar, dass er jedes Wort Gottes verschlungen hat und dass es ihm zu Freude, ja Glück geworden war. Er weiß, dass sein Leben Gott gehört. Aber es scheint, dass das inzwischen alles verblasst ist. Das war einmal. Am Anfang. Aber jetzt? Ich bin allein und ausgegrenzt. Keiner will mehr etwas mit mir zu tun haben. Und ich ziehe mich sogar selbst zurück, weil ich das gottlose Treiben ebenfalls hasse.
Hier klingt Psalm 1 an: Ich sitze nicht, wo die Spötter sitzen und habe mich vom Rat der Gottlosen ferngehalten. Aber bin ich selbst noch „ein Baum an den Wasserbächen“?
Herr, jetzt merke ich aber in der Gluthitze des Leidens nichts mehr von deiner Gegenwart. Warum hört mein Schmerz nicht auf? Habe ich etwas falsch gemacht? Habe ich nicht alles gesagt und getan, was du mir aufgetragen hast? Ich will es ehrlich sagen: Gott, ich bin von dir enttäuscht und fühle mich im Stich gelassen. Du kommst mir vor wie ein Bach, der frisches, lebendiges Wasser versprochen hat, aber nun in der Sommerhitze ausgetrocknet ist.
Jeremia ist wirklich in Not. Er schreit sie heraus, weil er nicht verstehen kann, dass das Leiden Bestandteil seines Dienstes ist.
Gott hat daraus nie einen Hehl gemacht, auch Jesus nicht. Jesus hat seinen Jüngern klar gesagt, dass sie ‑ genauso wie er selbst ‑ von der Welt abgelehnt und verfolgt werden (Joh 15,20). In den Seligpreisungen der Bergpredigt hat Jesus das sogar als besonderes Glück bezeichnet. Aber er hat auch zugesagt: Ich bin bei euch bis ans Ende der Welt (Mt 28,20).
Also: die Nachfolge Jesu beinhaltet das Leiden an und in der Welt. Die Christen, die heute in vielen Ländern der Welt ernsthaft verfolgt werden, wissen das. Aber sie wissen auch: wir sind trotzdem nicht allein. Jesus ist nicht nur mit uns, sondern in uns.
In den Versen 19-21 antwortet Gott noch einmal und muss offenbar seinen Propheten „zur Ordnung rufen“. Stopp, Jeremia – das geht zu weit! Gottes Antwort auf die ernste Not seines Propheten ist zunächst kein Trost, keine Ermutigung, sondern eine ernste Mahnung und Zurechtweisung.
Jeremia, rede nicht einen solchen Unfug. Du weißt nicht, was du da redest. Jetzt tu du erstmal Buße und kehre zu mir um. Dann kannst du weiter mein Prediger bleiben und mein Mund für das Volk sein. Aber dazu überwinde du erst deine Haltung der Rebellion gegen mich. Ich will dich weiter als Boten einsetzen, aber wie ich das tue, ist meine Sache. Ich bin der Herr, der Auftraggeber. Wollte Jeremia diesen Job eigentlich noch?
Erst nach dieser Klarstellung kommt die Zusage Gottes: Ich mache dich widerstandsfähig wie eine eiserne Mauer, so dass deine Feinde dir nichts anhaben können. ICH BIN bei dir, ich helfe dir und schütze dich. Das sage ich, JHWH, dir. Darauf gebe ich dir mein Wort. Ich habe dir das auch schon bei deiner Berufung zugesagt. (Jer 1,8)
Hat Gott sein Wort gehalten? Natürlich! Aber nicht so, wie ich denke und erwarte. Gott hat für Jeremia weiteres Leiden nicht verhindert. Die Verfolgung wurde sogar noch schlimmer, z. B. bei der Misshandlung durch den Oberpriester (Kap 20, 1-6) und die Gefangenschaft in der Zisterne (Kap 38).
Jeremia erlebt das Ende Judas und die Zerstörung des Tempels mit. Er bleibt danach im Land und wird in den Nachkriegsunruhen nach Ägypten verschleppt. Dort stirbt er letztlich, möglicherweise eines gewaltsamen Todes, weil er weiter gegen die Missstände predigt.
Wie passt das zusammen? Das Geheimnis ist wohl: Gott ist (auch) im Leiden gegenwärtig, aber seine Gegenwart vermeidet das Leiden nicht. Ich habe keinen Anspruch darauf, dass ein Leben in der Nachfolge „wie am Schnürchen“ läuft und Gott mir alle Stolpersteine aus dem Weg räumt. Aber ich habe ein Ziel, das hinter dem Horizont dieses Lebens liegt.
Ist es nicht vielmehr oft so, dass Gott sich durch Schwierigkeiten und Prüfungen wieder in Erinnerung bringen muss, weil ich ihn so schnell vergesse, wenn es mir gut geht?
Autor: Matthias Bank
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