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Peter Heather & John Rapley – Stürzende Imperien. Rom, Amerika und die Zukunft des Westens

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Wir spiegeln uns in Rom, und es ist gerade der Untergang des Reichs, der immer wieder zur Folie unserer eigenen Gegenwart herangezogen wird. So auch in „Stürzende Imperien“ von Peter Heather und John Rapley. Peter Heather ist Althistoriker und unterrichtet am Kings College in London, er ist ausgewiesener Experte für die Spätantike, John Rapley ist Ökonom in Cambridge und Fachmann für das Gebiet Globalisierung und Ungleichheit. Beide lehnen die schon klassische Erzählung ab, die es längst ins Arsenal der rechtspopulistischen Agenda gebracht hat, dass Rom an seiner eigenen Dekadenz und an einer Barbareninvasion gescheitert sei. Nein, sie bestehen darauf, dass das antike Rom sich nach der Krise des 3. Jahrhunderts wieder berappelt hat und durch die Reichsteilung, die Tetrarchie, eine Verwaltungsreform und eine modifizierte Besteuerung um 400 u. Z. sogar auf dem besten Weg in eine goldene Zukunft gewesen sei.

Ein Lebenszyklus eines Imperiums

Aber warum dann trotzdem der nicht zu bestreitende Kollaps wenige Jahrzehnte später? Die beiden Autoren entwickeln so etwas wie einen Lebenszyklus eines Imperiums, das sie geopolitisch aufteilen in das eigentliche Machtzentrum, dann die Provinzen noch innerhalb des Reichs, und die Peripherie außerhalb der Grenzen. Was sie beobachten, ist eine zunehmende Bedeutungsumkehrung von Zentrum, Provinz und Peripherie. Die Waren- und Menschenströme in die Randgebiete stärken diese Bereiche wirtschaftlich so, dass aus der abhängigen Provinz bedeutende Städte wie Trier oder York in England werden, wogegen die ökonomischen Daten von Italien nach unten zeigen. Und während die ersten Schlachten mit den, wie die Römer sie nennen, Barbaren schon mal verloren gehen können, siehe die Varus-Schlacht im Jahr 9 unserer Zeit, weil die germanische Bündnisse einfach nach den Siegen wieder zerfallen, sehen sich die Römer 300 Jahre später ganz anderen Gegnern gegenüber.

Militarisierte Strukturen in der Peripherie

In der Peripherie haben sich feste, stark militarisierte politische Strukturen gebildet, es gibt Könige, gut ausgebildete Heere, die von ihren römischen Feinden gelernt, ja sogar als Foederati für den römischen Kaiser gekämpft haben – ein ganz spezieller Wissenstransfer, der das Zentrum schwächt und die Ränder stärkt. Diese stabilen Verbände tragen die Namen, die ihnen die frühere Geschichtswissenschaft gegeben hat, Westgoten, Ostgoten, Vandalen, Alanen, obwohl man sie heute nicht mehr Völker nennen würde. Sie sind nur unter großem militärischem Aufwand kontrollierbar, wenn überhaupt, was natürlich die Finanzlast für den Kaiser wiederum erhöht.

„Einen menschlichen Tsunami“: der Hunnensturm

Ein Teufelskreis. Aber der entscheidende Schock ist das Auftauchen der Hunnen, die wohl aus klimatischen Gründen gen Westen stoßen und die Peripheriebewohner hinein ins Reich treiben. „Einen menschlichen Tsunami“ nennen Heather und Rapley den Hunnensturm. Nun befehlen die fremden Herrscher gleichsam Enklaven im römischen Reich mit dem Effekt, dass lokale Großgrundbesitzer sich ihnen zuwenden und lieber vor Ort die Steuern zahlen als einem fernen Zentrum. Eine Finanzkrise im Kernbereich ist unumgänglich.

Die Geschichte des Westens

Heather und Rapley deuten nun auch die Geschichte des Westens nach diesem Schema, was manchmal nur mit einem etwas grobem Keil gelingt, schon weil es den Westen als politische Einheit nicht gibt. Die großen Player der Neuzeit entstehen jeweils an den Rändern eines Reichs, die Niederlande folgen Spanien und Portugal, dann entsteht das britische Empire, mit dem Ableger USA, der nach dem 1. Weltkrieg die globale Macht innehat, wenn man denn Russland etwas aus den Augen verliert. Und heute? Sind die einstigen Kolonien bzw. Peripherien wie Indien, Südkorea, Brasilien nach Heather und Rapley die neuen Boom-Staaten, was die wirtschaftlichen Daten nicht immer hergeben, während der alte Westen unter geringen Wachstumsraten, enormem Schuldenstand und demographischer Unwucht stöhnt.

Wer sind die Hunnen von heute?

Und China? China hat es zum zweiten Hegemon gebracht, zur anderen Großmacht wie zu Roms Zeiten das Sassanidenreich in Persien. Aber während damals die entscheidende Währung das knappe Land war, heißt sie heute Geld, das scheinbar unbegrenzt zur Verfügung steht. Darum ist die kritische Frage: Wer sind die Hunnen von heute? Wer zerstört die fragile Balance? War es Corona? Oder sind es doch die sich auftürmenden Schulden, weil nur mit viel Geld die gesellschaftlichen Konflikte noch zu übertünchen sind? Ganz klar wird das nicht. Politisch sind Heather und Rapley wackere geistige Sozialdemokraten. Sie glauben zwar nicht mehr an ein „Make den Westen great again“, aber sehr wohl daran, dass eine kluge Außenpolitik es ermöglicht, zwei Hegemonialmächte zum gewinnbringenden und fairen Ausgleich zu bringen, nämlich China und die USA, und eine clevere Innenpolitik mit einer stärkeren Besteuerung der Vermögen, nicht der Einkommen, dem Staat die Gelder zur Verfügung stellt, um einen sozialen Ausgleich zu schaffen.

Kein lachender Dritter

Das liegt zweifelsohne nicht im Zeitgeist. Der erinnert eher an die Verzwergung des oströmischen Reichs, das sich zusehends mit dem persischen Imperium kriegerisch verkeilt hatte, wodurch es einen lachenden Dritten gab, die unter der Fahne des Islam neu vereinigte arabische Welt, der die beiden erschöpften Streithammel nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Wenigstens ist im Augenblick ein lachender Dritter nicht in Sicht.
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Wir spiegeln uns in Rom, und es ist gerade der Untergang des Reichs, der immer wieder zur Folie unserer eigenen Gegenwart herangezogen wird. So auch in „Stürzende Imperien“ von Peter Heather und John Rapley. Peter Heather ist Althistoriker und unterrichtet am Kings College in London, er ist ausgewiesener Experte für die Spätantike, John Rapley ist Ökonom in Cambridge und Fachmann für das Gebiet Globalisierung und Ungleichheit. Beide lehnen die schon klassische Erzählung ab, die es längst ins Arsenal der rechtspopulistischen Agenda gebracht hat, dass Rom an seiner eigenen Dekadenz und an einer Barbareninvasion gescheitert sei. Nein, sie bestehen darauf, dass das antike Rom sich nach der Krise des 3. Jahrhunderts wieder berappelt hat und durch die Reichsteilung, die Tetrarchie, eine Verwaltungsreform und eine modifizierte Besteuerung um 400 u. Z. sogar auf dem besten Weg in eine goldene Zukunft gewesen sei.

Ein Lebenszyklus eines Imperiums

Aber warum dann trotzdem der nicht zu bestreitende Kollaps wenige Jahrzehnte später? Die beiden Autoren entwickeln so etwas wie einen Lebenszyklus eines Imperiums, das sie geopolitisch aufteilen in das eigentliche Machtzentrum, dann die Provinzen noch innerhalb des Reichs, und die Peripherie außerhalb der Grenzen. Was sie beobachten, ist eine zunehmende Bedeutungsumkehrung von Zentrum, Provinz und Peripherie. Die Waren- und Menschenströme in die Randgebiete stärken diese Bereiche wirtschaftlich so, dass aus der abhängigen Provinz bedeutende Städte wie Trier oder York in England werden, wogegen die ökonomischen Daten von Italien nach unten zeigen. Und während die ersten Schlachten mit den, wie die Römer sie nennen, Barbaren schon mal verloren gehen können, siehe die Varus-Schlacht im Jahr 9 unserer Zeit, weil die germanische Bündnisse einfach nach den Siegen wieder zerfallen, sehen sich die Römer 300 Jahre später ganz anderen Gegnern gegenüber.

Militarisierte Strukturen in der Peripherie

In der Peripherie haben sich feste, stark militarisierte politische Strukturen gebildet, es gibt Könige, gut ausgebildete Heere, die von ihren römischen Feinden gelernt, ja sogar als Foederati für den römischen Kaiser gekämpft haben – ein ganz spezieller Wissenstransfer, der das Zentrum schwächt und die Ränder stärkt. Diese stabilen Verbände tragen die Namen, die ihnen die frühere Geschichtswissenschaft gegeben hat, Westgoten, Ostgoten, Vandalen, Alanen, obwohl man sie heute nicht mehr Völker nennen würde. Sie sind nur unter großem militärischem Aufwand kontrollierbar, wenn überhaupt, was natürlich die Finanzlast für den Kaiser wiederum erhöht.

„Einen menschlichen Tsunami“: der Hunnensturm

Ein Teufelskreis. Aber der entscheidende Schock ist das Auftauchen der Hunnen, die wohl aus klimatischen Gründen gen Westen stoßen und die Peripheriebewohner hinein ins Reich treiben. „Einen menschlichen Tsunami“ nennen Heather und Rapley den Hunnensturm. Nun befehlen die fremden Herrscher gleichsam Enklaven im römischen Reich mit dem Effekt, dass lokale Großgrundbesitzer sich ihnen zuwenden und lieber vor Ort die Steuern zahlen als einem fernen Zentrum. Eine Finanzkrise im Kernbereich ist unumgänglich.

Die Geschichte des Westens

Heather und Rapley deuten nun auch die Geschichte des Westens nach diesem Schema, was manchmal nur mit einem etwas grobem Keil gelingt, schon weil es den Westen als politische Einheit nicht gibt. Die großen Player der Neuzeit entstehen jeweils an den Rändern eines Reichs, die Niederlande folgen Spanien und Portugal, dann entsteht das britische Empire, mit dem Ableger USA, der nach dem 1. Weltkrieg die globale Macht innehat, wenn man denn Russland etwas aus den Augen verliert. Und heute? Sind die einstigen Kolonien bzw. Peripherien wie Indien, Südkorea, Brasilien nach Heather und Rapley die neuen Boom-Staaten, was die wirtschaftlichen Daten nicht immer hergeben, während der alte Westen unter geringen Wachstumsraten, enormem Schuldenstand und demographischer Unwucht stöhnt.

Wer sind die Hunnen von heute?

Und China? China hat es zum zweiten Hegemon gebracht, zur anderen Großmacht wie zu Roms Zeiten das Sassanidenreich in Persien. Aber während damals die entscheidende Währung das knappe Land war, heißt sie heute Geld, das scheinbar unbegrenzt zur Verfügung steht. Darum ist die kritische Frage: Wer sind die Hunnen von heute? Wer zerstört die fragile Balance? War es Corona? Oder sind es doch die sich auftürmenden Schulden, weil nur mit viel Geld die gesellschaftlichen Konflikte noch zu übertünchen sind? Ganz klar wird das nicht. Politisch sind Heather und Rapley wackere geistige Sozialdemokraten. Sie glauben zwar nicht mehr an ein „Make den Westen great again“, aber sehr wohl daran, dass eine kluge Außenpolitik es ermöglicht, zwei Hegemonialmächte zum gewinnbringenden und fairen Ausgleich zu bringen, nämlich China und die USA, und eine clevere Innenpolitik mit einer stärkeren Besteuerung der Vermögen, nicht der Einkommen, dem Staat die Gelder zur Verfügung stellt, um einen sozialen Ausgleich zu schaffen.

Kein lachender Dritter

Das liegt zweifelsohne nicht im Zeitgeist. Der erinnert eher an die Verzwergung des oströmischen Reichs, das sich zusehends mit dem persischen Imperium kriegerisch verkeilt hatte, wodurch es einen lachenden Dritten gab, die unter der Fahne des Islam neu vereinigte arabische Welt, der die beiden erschöpften Streithammel nichts mehr entgegenzusetzen hatten. Wenigstens ist im Augenblick ein lachender Dritter nicht in Sicht.
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